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HAUPTSITZ RAIFFEISENKASSE KASTELRUTH - ST. ULRICH


Kastelruth, 2007-2011

Südtiroler Architekturpreis 2011 - Gewinner Kategorie "Energy"

 

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Broschüren erschienen anlässlich der Eröffnung am 16.10.2011
> Architektur
> Kunst am Bau

EINE REGIONALE ARCHITEKTUR DER MODERNE

Regionales Bauen meint das Bauen im regionalen Kontext, der sich aus Topografie und Klima, Gesellschaft und Wirtschaftsform entwickelt hat. Naturgemäß ist regionale Architektur kein Endprodukt, ihre Entwicklung ist nie abgeschlossen, sondern in ständigem Wandel begriffen. Einschneidende gesellschaftliche Veränderungen, wie etwa die Aufgabe der Landwirtschaft zugunsten des Fremdenverkehrs, können jedoch zu einem Bruch und Endpunkt im regionalen Bauen führen.

In Kastelruth halten sich Landwirtschaft und Tourismus die Waage. Der Fremdenverkehr hielt auf dem Hochplateau bereits in den 1950er-Jahren Einzug. In der Fraktion Seis errichtete der aus Mailand stammende Architekt Armando Ronca ein hochmodernes Lichtspieltheater für 375 Zuschauer. Wenig später, von 1958 bis 1962, entstand das Eurotel auf der Seiseralm. Die Bozner Architekten Dalla Bona & Zamolo haben den großen Hotelkomplex aus der Topografie heraus entwickelt. Lichtspieltheater und Eurotel zeugen von der Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit. Selbstredend verwenden sie das Vokabular der Architektur der Moderne, der Ortsbezug wird durch den Dialog mit der Topografie hergestellt.

Wäre es bei wenigen und qualitätvollen Bauten geblieben, könnte Kastelruth heute als ein Schulbeispiel der Architekturgeschichte gelten, wie regionales Bauen, Architektur der Moderne und Landschaft harmonisch zusammenwirken können. Qualität kann neben Qualität bestehen, so wie auch ein modernes Sofa in einer alten Stube nicht stört. Die Gestaltungsprinzipien der Moderne sind jenen des regionalen Bauens nicht fremd: Die Ableitung der Form aus der Funktion, die Ornamentlosigkeit und die Suche nach der einfachsten Lösung sind wiederkehrende Prinzipien der regionalen Architektur. Neu ist nur das Material: Stahl und Beton werden zum Experimentierfeld für neue Konstruktionen.

Kastelruth hat sich aber in eine andere Richtung weiterentwickelt. Das Lichtspieltheater wurde abgebrochen und rund um das Eurotel wurde ein Hoteldorf aus der Alm gestampft. Die Prototypen der Tourismusarchitektur von damals sind engagierter als die Architektur der letzten Jahrzehnte. Der mehrheitsfähige Konsens zwischen der großen Menge an neu Gebauten und der bedrängten regionalen Architektur ist die formale Anbiederung. Alpiner Kitsch ist die Antwort auf regionales Bauen, gedankenlos und oberflächlich, eine Perversion ursprünglich sinnhafter Formen. Der Lederhosenstil ist der Tod der regionalen Architektur.

Diese Entwicklung hat eine Auseinandersetzung mit dem regionalen Bauen ganz sicher nicht leichter gemacht. Dass beim Bau der Raiffeisenkasse Kastelruth der Diskurs trotzdem gewagt wurde, ist der starken Verbundenheit der Architekten Paul Senoner und Lukas Tammerle zu ihrem Ort und seiner Geschichte zu verdanken. Im Jahr 2008 haben sie den Wettbewerb für den Neubau der Bank gewonnen. Der neue Standort befindet sich am Übergang vom dicht verbauten Ortskern zur Dorferweiterung der letzten 40 Jahre. Im Sommer 2011 steht der Bau vor seiner Fertigstellung: Auch wenn heute noch ein Bauzaun auf dem Vorplatz steht, scheint es, als wäre das mächtige Haus mit dem Satteldach schon immer an diesem Ort gestanden. Es besetzt seinen Platz mit derselben Selbstverständlichkeit wie die alten Ansitze im Zentrum.

Der erste Eindruck trügt selten. Nicht nur die Proportion des neuen Baukörpers, auch seine Details, Materialien und Farben beziehen sich auf das historische Kastelruth. Der eigens abgemischte Fassadenputz leuchtet in warmen Umbratönen. Ein Sockel aus Ortbeton zeichnet den Übergang zum Gelände nach. Beigemischter Hochofenzement erzeugt einen weichen gelblichen Farbton, ähnlich dem Sandstein, der in Kastelruth häufig die Hauseingänge rahmt. Unregelmäßig in die Fassade gesetzte Lärchenfenster betonen das massive Mauerwerk. Die Masse ist in diesem Fall nicht vorgetäuscht: 60 cm starkes Ziegelmauerwerk verleiht dem Bau eine gediegene Erscheinung und sorgt für eine ausgezeichnete Wärmdämmung.

Von jeder der drei angrenzenden Straßen führt ein Eingang in das Kundengeschoss, sodass die Kunden ihre Bank aus jeder Richtung kommend bequem erreichen können. Schon hier überrascht die Offenheit des Bauherrn für publikumsfreundliche, doch im Banksektor eher unübliche Lösungen. Der Haupteingang liegt an der Oswald-von-Wolkenstein-Straße. Das alte Trockerhaus wurde abgebrochen und mit Wohnungen in den Obergeschossen wieder errichtet, ebenerdig führt eine von zwei Geschäften flankierte Passage in die Schalterhalle. Wir finden die klassische Situation der von oben belichteten Halle, die regional interpretiert wurde: Ein hölzerner Deckenraster filtert das Licht, die Schalter liegen in seitlichen Nischen. Auf die heute üblichen Kabinen wurde bewusst verzichtet, dafür haben die Architekten ein spezielles Sitzmöbel für die Kunden entworfen, das nicht nur bequem ist, sondern auch Diskretion gewährt.

Die Einrichtung in der Schalterhalle ist auf Maß gearbeitet. Für stark beanspruchte horizontale Flächen wurde harte Kastanie verwendet, die Schränke sind aus Lärche. Damit werden noch schwarz gebeiztes Birkensperrholz und schwarzer Loden kombiniert. Für die Einrichtung gilt dasselbe wie für das Haus: Die Zutaten sind regional, ihre Komposition ist jedoch originell und ohne jede einschränkende minimalistische Strenge. Neben Kastanie, Lärche und Birke werden Akustikdecken aus Ulme verwendet und der Tisch im Sitzungssaal ist aus edlem Nussholz. Die akkurate Gestaltung der Schalterhalle zieht sich durchs ganze Haus: Auch die Trennwände sind auf Maß gearbeitet und bis ins letzte Büro ist die Einrichtung durchdacht und handwerklich perfekt umgesetzt. Sicherheitstechnische Einbauten verschwinden hinter getöntem Glas, ein Rohrpostsystem sorgt für effiziente und diskrete Kommunikation.

Die Raiffeisenkasse Kastelruth wurde qualitätsbewusst und ohne übertriebene Eile gebaut. So sollte es immer sein. Seit dem Arbeitsbeginn sind drei Jahre vergangen: Ein Jahr wurde für den Abbruch, die Baugrube und Erdwärmebohrungen, ein Jahr für den Rohbau und ein weiteres für den Innenausbau benötigt. Die ausführenden Handwerksbetriebe kommen aus Kastelruth und Umgebung, statt industrieller Produktion wurde regionales Handwerk bevorzugt, statt vorgefertigter Elemente die Maßarbeit. Die Nachhaltigkeit wurde vor den kurzfristigen Vorteil gestellt. Damit hat sich die Raiffeisenkasse Kastelruth als sensibler Bauherr erwiesen, der den Architekten und Handwerkern ein ruhiges und konzentriertes Arbeiten ermöglicht hat. Auf die Gediegenheit und Dauerhaftigkeit der Ausführung wurde großer Wert gelegt. So wie bei den alten Ansitzen im Zentrum des Dorfes wurde hier mit Stolz gebaut, hochwertig und nicht protzig. Die ruhige Erscheinung des neuen Bankgebäudes stärkt das historische Zentrum und lässt nach der Durststrecke der letzten Jahrzehnte wieder auf eine bessere Architektur am Hochplateau hoffen. Das Projekt der Raiffeisenkasse setzt den Schritt von der Rezeption regionaler Architektur zur kreativen Transformation in ein zeitgemäßes Konzept: eine regionale Architektur der Moderne.

 

Text von Susanne Waiz
 

 

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